„Stay positive”: New Work und toxische Positivität
Oktober, 2021
4 min
New Work ist innovativ, dynamisch und lebendig. Alles ist neuer, besser, höher, weiter und eben super amazing. Es geht um Individualität, Selbstfindung und den Abschied vom langweiligen 9-to-5-Legebatterie-Job. Work-Life-Balance, Kicker im Büro, Obstkorb, After-Work-Drinks, es wird alles immer besser. Wer nicht nach vorne kommt, hat eben nicht das richtige Mindset. Alles was zählt, ist positiv zu sein – dann klappt schon alles andere. Positiv zu denken ist eine unglaublich wichtige Eigenschaft, die sogar erlernt werden kann. In den letzten Jahren ist jedoch eine wahre Welle an Positivität über uns gerollt, in der es darin geht, in allem und immer nur das Positive zu sehen. Negative Gedanken haben hier keinen Platz – und sind sogar verpönt. Dieses Phänomen trägt den Namen “Toxische Positivität” und lässt sich sowohl am New Work-Arbeitsplatz, als auch überall sonst finden.
Was ist toxische Positivität?
Toxische Positivität kann als „zwanghafter Optimismus” definiert werden. Es geht darum, in allem und überall immer nur das Positive, also das Gute zu sehen. Damit einher kommt jedoch auch das Ausblenden von negativen Emotionen. Das ist aus mehreren Gründen ziemlich ungesund, aka toxisch. Zum einen gehören negative Gefühle zum Leben dazu. Es ist in Ordnung nicht immer glücklich zu sein und es gibt mehr als genug Lebenssituationen, in denen das Mantra #staypostive nicht greift. Wir brauchen Trauer, Wut und alle anderen „negativen” Gefühle, die bei toxischer Positivität keinen Platz haben, um zu (er-)leben. Emotionen sind wichtige Aushandlungsprozesse mit uns selbst. Sie helfen uns dabei zu evaluieren, was uns guttut und was nicht. Mit toxischer Positivität nehmen wir uns diesen Raum zum Fühlen – und hindern uns in gewisser Weise daran, wirklich positiv zu denken und zu fühlen. Zum anderen ist es höchst problematisch, wenn die eigene toxische Positivität auch zum Maßstab an unsere Mitmenschen wird. Denn dies führt dazu, dass wir Menschen die Legitimität ihrer Gefühle absprechen und wir diese in unsere (toxischen) Denkmuster zwingen. Das ist nicht nur ziemlich uncool, sondern auch ziemlich gefährlich.
Wie können wir mit toxischer Positivität umgehen?
„Good vibes only”, „You attract what you think about” oder „Don’t worry, be happy!” – wenn Ihr einen oder mehrere dieser Sprüche in irgendeiner Social Media-Biografie stehen habt, dann kann es gut sein, dass Ihr Vertreter*innen toxischer Positivität seid. Quatsch, so einfach ist das natürlich nicht. Aber wenn Ihr merkt, dass Ihr toxische Positivität (re-)produziert, dann wird es Zeit die eigenen Denkmuster aufzudecken, zu hinterfragen und zu ändern. Es soll noch einmal wiederholt werden: positives Denken ist eine unglaublich wichtige Eigenschaft. Wenn wir jedoch merken, dass diese Positivität erzwungen ist und andere Emotionen verdrängt, dann ist dies ungesund. Auch im Miteinander ist es wichtig, dass wir negative Emotionen akzeptieren. Das kann manchmal ganz schön schwer sein. Zum einen sind wir dazu sozialisiert Negativität, als schlecht zu bewerten und zum anderen sind toxisch-positiven Phrasen wie „… aber sieh’ das doch positiv” oder „…betrachte das als Chance” auch ein Schutzmechanismus. Viel besser ist es aber wirklich zuzuhören, empathisch zu sein und dann einzuschätzen, was unser Gegenüber gerade braucht. Das kann einfach zuhören sein, Trost, Unterstützung oder eben auch Motivation – aber Hauptsache nicht toxisch.
New Work und toxische Positivität
Im Arbeitskontext beschreibt Louka Goetzke von Neue Narrative, dass „Die Ideologie des positiven Denkens sagt, dass Erfolg nur von harter Arbeit abhängt”. Die Devise lautet, dass wer positiv denkt, überhaupt nicht scheitern kann. Oder etwa unzufrieden sein darf, mit dem, was er oder sie tut – ist ja im Endeffekt alles eine Sache der Einstellung. Auch im New Work-Kontext, der schönen neuen Arbeitswelt, findet toxische Positivität viel fruchtbaren Boden. Mails checken nach dem Feierabend? Work-Life-Blending! Arbeiten im Urlaub? Workation! Abends, am Wochenende arbeiten und von überall arbeiten? Flexible Arbeitszeiten und Remote Work! Natürlich bieten New Work-Strukturen unglaubliches Potenzial, um den Arbeitsalltag individueller, flexibler und positiver zu gestalten. Wir müssen eben nur aufpassen, dass wir hier zwischen Theorie und Praxis unterscheiden. Und, dass wir keine toxische Positivitäts-Rhetorik verwenden, um Überarbeitung, Unverhältnismäßigkeit und Unzufriedenheit zu rechtfertigen.